Ehrenamtlicher Ortsbürgermeister

Ein Dialoggespräch mit dem Ortsbürgermeister:

Freie Wählergruppe:
Herr Ortsbürgermeister, lieber Jochen, wir freuen uns, dass Du zu diesem ausgiebigen Interview bereit bist. Es stehen die Kommunalwahlen bevor und Du wirst nicht mehr für das Amt des Ortsbürgermeisters kandidieren. Wir möchten jedoch die Gelegenheit nutzen Dich vor dem Ausscheiden aus dem Ehrenamt zu interviewen.

Ortsbürgermeister:
Danke, gerne und ja das ist richtig, ich werde nicht mehr für das Ortsbürgermeisteramt kandidieren und sehr treffend bezeichnet, es handelt sich um ein Ehrenamt. Das begleitet man, wie der Name schon sagt, ehrenamtlich neben seinem eigentlichen Job und neben Familie, Frau und Kinder, in seiner Freizeit.
Ich denke das ist vielen Bürgern, die mich auch einmal Samstagsabends, Sonntagmorgens oder während einer Festlichkeit oder einem Spaziergang ansprechen, nicht immer bewusst. Mit Bürgern meine ich natürlich Bürgerinnen und Bürger, ich hoffe das ist so okay.

Freie Wählergruppe:
Ist Dir das ein Ärgernis, wenn Dich Leute in Deiner Freizeit oder privat zu Gemeindethemen kontaktieren?

Ortsbürgermeister:
Es kommt drauf an. Es gibt viele Sachverhalte, die sind sehr dringend wie z.B. Gefahren, wie umgestürzte Bäume, eindringendes Wasser, Sturmschäden usw. - hier ist schnelles Handeln gefragt und Hinweise absolut willkommen und ganz klar richtig direkt den Kontakt zu suchen.
Wenn ich allerdings wegen einem Blumenbeet oder Hundehaufen Samstagsabends auf meiner Privatnummer angerufen werde oder ähnliche Dinge, die wirklich auch in der Gemeindesprechstunde bzw. werktags erledigt werden können, dann muss das nicht sein.
Ebenso Bauangelegenheiten oder strittige Themen an der Theke, bei einer Festlichkeit oder einem Spaziergang. Das gehört nicht dorthin, vermiest eigentlich jedem nur die Laune und sollte in angebrachten Räumlichkeiten und Gesprächsrunden sachlich diskutiert werden.

Freie Wählergruppe:
Dann ist Dein Freizeitaufwand hoch?

Ortsbürgermeister:
Ja, das Amt des Ortsbürgermeisters begleitet man nebenbei. Nach meinem eigentlichen Job fängt die Arbeit als Ortsbürgermeister an. Alles in allem wende ich gut 2-3 Stunden pro Tag auf, also locker 15-20 Stunden pro Woche. Natürlich zu Lasten des Familienlebens und der Erholung.

Freie Wählergruppe:
Gut, aber da gibt es doch Freistellungen vom Arbeitgeber, richtig?

Ortsbürgermeister:
Eine pauschale Freistellung kennt die Gemeindeordnung gar nicht. Das ist alles sehr kompliziert. Bei Beamten und Arbeitnehmern mit gleitender Arbeitszeit kann eine Freistellung beispielsweise nur erfolgen, wenn das Ehrenamt in der Kernarbeitszeit wahrgenommen werden muss. Dann ist die Gemeindeordnung natürlich für Rheinland-Pfalz anwendbar - was aber, wenn man, wie ich, in einem anderen Bundesland arbeitet? Und dann noch der Unterschied zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft. Also ich kann und will es mir mit meinem Arbeitgeber in der Privatwirtschaft nicht verscherzen. Ich werde dort nicht versuchen irgendetwas einzuklagen und arbeite anfallende wichtige Tagestermine mit Überstunden in meinem Job heraus. Leider auch wieder zu Lasten der Familie.

Freie Wählergruppe:
Aber dafür erhältst Du doch auch Lohn, oder?

Ortsbürgermeister:
Hier muss ich durchaus schmunzeln, der ein oder andere denkt vermutlich man würde dabei reich. Und Nein es gibt keinen Lohn.
Es gibt eine Landesverordnung über die Aufwandsentschädigung für kommunale Ehrenämter, in der exakt geregelt und für alle nachlesbar ist wie viel Entschädigung ein Ortsbürgermeister erhält. Man bezeichnet es also als Aufwandsentschädigung.
Dem Ortsbürgermeister ist demnach, so die Verordnung, für die Abgeltung der mit der Wahrnehmung des Ehrenamtes verbundenen notwendigen baren Auslagen und sonstigen persönlichen Aufwendungen eine monatliche Aufwandsentschädigung zu gewähren. Zumindest seit meiner Amtszeit sieht das Finanzamt diese Aufwandsentschädigung allerdings als einkommensteuerpflichtig an. Damit hat man dann, sofern dies als Steuerklasse 6 laufen muss, noch deutlich Abzüge von der Aufwandsentschädigung.

Freie Wählergruppe:
Salopp gesagt, gemäß dem Spruch “Viel Arbeit, wenig Lohn?”

Ortsbürgermeister:
Das kann ich nicht verneinen. Denn seit einigen Jahren werden den ehrenamtlichen Ortsbürgermeistern im Land weitere zusätzliche Aufgaben aufgeladen, was meiner Meinung nach so nicht sein kann.

Freie Wählergruppe:
Kannst Du da Beispiele nennen?

Ortsbürgermeister:
An erster Stelle, mit Abstand, würde ich da mal die Bürokratie nennen. Auf spezielle Beispiele möchte ich da gar nicht eingehen, das ist mehr oder weniger in allen Bereichen. Die Ortsvereine wissen vermutlich genau was ich meine, wenn sie ebenso einmal eine Veranstaltung beantragen oder auch Privatpersonen können von dem teilweisen Papierwahnsinn in Deutschland ein Lied singen.
Ich habe das Gefühl man versucht sich inzwischen damit von jeglicher Verantwortung freizusprechen. Ich kann es aber auch niemandem so ganz verübeln, da unsere Gesellschaft einen großen Teil davon selbst Schuld ist. Sobald sich jemand für irgendetwas verantwortlich erklärt, wird er umgehend in unterschiedlicher Form angegriffen, was alles falsch sei, was alles besser sein könnte und warum nicht geeignet. Leider hat die Corona-Pandemie und die sozialen Medien dieses Phänomen beschleunigt.

Freie Wählergruppe:
Ist das auch für einen kleinen Ort wie Weitersburg wirklich ein Thema?

Ortsbürgermeister:
Oh ja. Weitersburg ist zunächst gar nicht mehr so klein, mit insgesamt 2576 Einwohnern im Januar. Wer jetzt meint die Einwohnerzahl wäre sprunghaft gestiegen, den muss ich enttäuschen, aber da können wir gerne später drauf zurückkommen, ich meine auf die Einwohnerentwicklung.
Social Media ist jedoch überall ein Thema. Die Gesellschaft, so auch in Weitersburg entwickelt sich und es ist sehr wichtig, wie ich finde, mit Anstand, Gewissen und Verstand im Internet zu diskutieren und dortige Aussagen in Frage zu stellen, zu recherchieren und “offline” nachzufragen. Es wird zuviel “Fake-News” verbreitet und viele saugen diese ungeprüften Informationen als wahr auf. Beschimpfungen und Mobbing, oft anonym, belasten dann zudem und öffentliche Personen befinden sich in den sozialen Medien in einem Kreuzfeuer, wogegen es sehr schwerfällt sich zu wehren. Meinen privaten Facebook-Account habe ich schon vor vielen Jahren aufgeben, da mich einfach darüber viel zu viele Anfragen, Hinweise und auch Beschwerden erreicht haben, die im Gemeindebüro etwas zu suchen haben, aber nicht in einem privaten Online-Account.
Heute arbeiten Schülerinnen und Schüler in unserer Grundschule zum Beispiel auf digitalen Tafeln und mit IPads. Wer hätte das vor 10 Jahren noch gedacht?
Wir haben glücklicherweise den Ausbau für schnelles Internet im Ort forciert, ja auch hier gibt es Kritik, neben vielen unsinnigen Beschwerden auch durchaus begründete Kritik, aber wir haben schon viel erreicht in den letzten 10 Jahren. Andere Kommunen werden noch sehr warten müssen und sind lange nicht so weit wie wir in Weitersburg.
Die Weitersburger Kinder können für den Umgang mit den neuen Medien jedenfalls geschult werden, um besser die Gefahren des Internets zu erkennen und damit umzugehen, besser als manche Erwachsenen. Und Vielen ermöglicht beispielsweise die digitale Infrastruktur in Weitersburg inzwischen die Arbeit im Homeoffice.

Freie Wählergruppe:
Oh, das waren schon interessante Einblicke und ich hätte noch so viele Fragen dazu. Wir kommen ja von einem Thema in viele weitere Themen. Sozusagen vom Hölzchen aufs Stöckchen. Vielleicht können wir das Gespräch weiterführen und in einzelne Themen aufteilen?

Ortsbürgermeister:
Gerne, ich stehe zur Verfügung.

Freie Wählergruppe:
Dann freuen wir uns auf Teil 2 des Gesprächs, bis dahin …