Bauleitplanung für Gewerbe und Unternehmen

Freie Wählergruppe:
Herr Ortsbürgermeister, lieber Jochen, in Teil 5 haben wir über die Schulden gesprochen. Du hast dabei die Wichtigkeit von Einnahmen angesprochen und hierbei deine Hoffnung auf mehr Gewerbesteuer als Haupteinnahme der Realsteuern gelegt.
Wir hatten hinsichtlich Gewerbeentwicklung ja auch Versuche seit 2015 hinsichtlich Bauleitplanung unternommen, aber sind auch auf Deine Sicht gespannt. Wie sieht es denn bei dem Thema in Weitersburg aus?

Ortsbürgermeister:
Das ist wie gesagt ein sehr umfangreiches Thema und nicht in ein paar Sätzen zu erklären. Die Sicht auf die Historie ist hier für mich eine sehr wichtige. Einige sagen, dass die Historie nicht relevant sei. Das sehe ich anders und begründe es auch:
Für mich ist auch im baulichen Sinne wichtig, wie das, was ist, entstanden ist, was vorher da war, wo dadurch Defizite vorhanden sind, was eigentlich aktuell erlaubt ist und was Bestandsschutz hat. Der Bestand ist hier ein sehr wichtiger Punkt. Ohne Regelung aus einer Bauleitplanung gibt praktisch der aktuell genehmigte Bestand ansonsten ja vor was eventuell noch gebaut werden darf oder nicht.
Ohne ordnende Regelungen und Vorgaben aus einem Bebauungsplan darf unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes und Beachtung des §34 BauGB (im Zusammenhang bebaute Ortsteile), ganz grob gesagt und wirklich sehr vereinfacht dargestellt, das gebaut werden, was dort in der direkten Nachbarschaft schon mit Genehmigung existiert.
Eine Ausnahmegenehmigung in einem Bebauungsplan beispielsweise führt unter gleichem Aspekt der Gleichheit dazu, dass im Geltungsbereich dieses Plans allen anderen diese Ausnahme ja grundsätzlich auch zusteht. So haben sich einige alte Bebauungspläne, teilweise aus den 1960ern, im Ort dermaßen mit Ausnahmen hochgeschaukelt, dass es nötig wurde teilweise neue Bebauungspläne bzw. Bebauungsplanänderungen zu erstellen.

Im Gewerbegebiet, ich beziehe mich dabei auf das Gebiet, welches schon frühere Gemeinderäte als Gewerbegebiet bezeichneten und was auch so im Flächennutzungsplan seit den 1980ern steht, ist das nicht anders.
Fachleute von Verwaltung und Planungsbüros schreiben dort im ungeplanten Raum von baurechtlichen Defiziten. Mein Hinweis wieder auf die für mich wichtige Historie:
Wir haben hier ein Gewerbe-Teilgebiet ohne ordentliche baurechtliche Grundlagen. Dort war früher sogar Industrie angesiedelt. Dementsprechend sind natürlich die Gebäude der ehemaligen Kerzenfabrik und auch des Sägewerkes.
Ich möchte das nochmal betonen. Das ist keine grüne Wiese oder unangetastete Natur von der wir hier sprechen, die in ein Gewerbegebiet umgestaltet werden soll. Nein, wir haben hier bestehendes Gewerbe, dass Unterstützung und Planungssicherheit für Entwicklung benötigt.
Darüber kann meiner Meinung besonders ein Unternehmer gut vortragen, als ein Familienunternehmen aus Weitersburg, welches dort schon ewig angesiedelt ist, welches die Gewerbeentwicklung in Weitersburg bestens kennt und von Grund auf mitgemacht hat, welches Ort, Vereine und Einwohner bestens kennt. Freut mich, dass Ihr auch den Eigentümer des ehemaligen Sägewerks, jetzt Urwers Holzwelt, mit eingeladen habt.

Freie Wählergruppe:
Ja das haben wir. Danke, dass Du zugesagt hast lieber Alfred Urwer. Als Traditionsunternehmen hast Du sicherlich auch Einiges zu erzählen.
Deine Sicht auf die Dinge kennen wir im Groben. 2015 wollten wir ja mit Gemeinde und Verwaltung dein Gelände zur geregelten zukunftsfähigen Weiterentwicklung hinführen, zur Erlangung von den nötigen baurechtlichen Voraussetzungen auf dem ganzen Gelände aufgrund eines großen Unternehmens, welches sich ansiedeln wollte. Leider hatte damals die Mehrheit des Gemeinderates die dafür vorgesehene Finanzierung aus dem Haushalt gestrichen. Das führte ja dazu das das Unternehmen die Verbandsgemeinde verlassen hat und die weitere Planung zunächst eingestellt wurde.
Ortsbürgermeister und Verwaltung wissen sicherlich etwas mehr über deine Gedanken und Ideen. Öffentlich gelesen und gehört haben wir nur von anderen, beziehungsweise in den letzten Jahren von einer Bürgerinitiative. Hatten die mit dir gesprochen?

Alfred Urwer:
Danke für die Einladung. Richtig, wir sind ein Familien-Traditionsunternehmen. Früher waren wir mitten im Ort angesiedelt, nach dem 2. Weltkrieg sind wir dann an den jetzigen Platz im Gewerbegebiet gezogen. Damals war rund um nur Landwirtschaft und das Sägewerk. Mein Herz schlägt für die Ortsvereine, in vielen war und bin ich selbst aktiv oder aktiv gewesen.
Eine Bürgerinitiative hat mich nicht nach meiner Meinung gefragt, aber sie hat die Verwaltung kritisiert Eigentümer wegen eines Bebauungsplanverfahrens vorab nicht gefragt zu haben.

Freie Wählergruppe:
Die Gemeinde hat niemanden wegen einer Bauleitplanung gefragt?

Ortsbürgermeister:
Es wurden Eigentümer gefragt, wenn nicht jetzt dann vor einigen Jahren oder noch früher. Es verhält sich ja so, dass seit den 1980er hier schon etliche Bebauungspläne und Entwürfe gefertigt wurden. Der letzte meiner Kenntnis nach 2008, ich vermute den kennen die Wenigsten. Schlussendlich endeten die Beratungen ja auch in einer Abwägung und Einigung im Flächennutzungsplan und auch anderen Plänen, welche genau die Fläche beinhalten, um die es jetzt geht.
Zuletzt wurden 2018 Eigentümer in diesem Gebiet angefragt. Es ging damals hauptsächlich um die Ansiedlung eines kleinflächigen Einzelhandels.
Die Gemeinde hatte 2016 mit einer Projektentwicklungsgesellschaft Kontakt zur “Bedarfserörterung - Grundstücke für Nahversorger” und hat umgehend den Gemeinderat davon in der damaligen April-Sitzung unterrichtet. Im September konnte sich damals leider eine Fraktion nicht mehr daran erinnern und hat in einer schriftlichen Anfrage nachgehakt, warum die FWG-Fraktion etwas wisse, was sie nicht weiss. Ich habe den Sachverhalt dann nochmal erneut in der Ratssitzung Ende September 2016 mitgeteilt. Soviel am Rande zu “nichts” mitteilen. Nun das kann ja mal passieren, aber der kurze Weg, schnelle E-Mail oder Telefonat, hätte nicht nur hier direkte Aufklärung gebracht. Beispielsweise wurde 2017 von einer anderen Fraktion der Verwaltung sogar vorgeworfen sie habe den Haushalt nicht im Mitteilungsblatt veröffentlicht und bekannt gemacht. Es war mit hohem Rechtfertigungsaufwand verbunden die Erinnerungslücken umfangreich in einer über 10-seitigen Mitteilung in der Sitzung vom November 2017 dann aufzuklären. Ich schweife ab. Zurück zum Einzelhandel.
Für den Einzelhandel wären 2016/2018 ca. 5000 qm nötig gewesen. Das hatte sich 2018 aber aufgrund der Preisvorstellungen im noch nicht baureifen Gewerbegebiet West zerschlagen.
Weiterhin gab es für das Gewerbegebiet schon Anfang der 1990er große Bürgerversammlungen und Abstimmungen. Man hatte sich damals im Übrigen auf das aktuell im Aufstellungsbeschluss befindliche Planungsgebiet inklusive dem bestehenden Gewerbegebiet Ost, wie ich eben schon sagte, geeinigt. Es wurde alles schon vielfach öffentlich diskutiert. Alle sind seit jeher, insbesondere Landwirtschaft und Gewerbe, in Kenntnis der Bauleitplanungsabsichten gewesen.
Auch der Entwicklungswille des ehem. Sägewerks war aus 2015 bekannt, ebenso Gespräche mit der Wirtschaftsförderung der VGV. Auf dem ehem. Kerzenfabrikgelände gab es inzwischen so viele Nutzungsänderungen und Anträge, dass hier ordentliches Baurecht einfach unverzichtbar ist. Und im Bereich der ehemaligen Nerzfarm sieht das ähnlich aus. Der Betrieb hat ja nicht mal eine Zuwegung.

In diesem Punkt muss ich als Ortsbürgermeister auf Gesetze und Regeln hinweisen. Ja, da ist der Ortsbürgermeister leider wieder der Spielverderber, dafür wird man gewählt und damit muss man klar kommen.
Das Baugesetz regelt die Angelegenheit demokratisch und für alle geltend. Demnach “hat” die Gemeinde die Bauleitplanung nach BauGB durchzuführen, wenn es für Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Das ist hier der Fall.
Die Bürger werden gefragt. Das ist gesetzlich vorgeschrieben durch die Bürgerbeteiligung. Das wurde im aktuellen Verfahren sogar durch die “frühzeitige” Beteiligung gemacht. Es ist nur nicht allen “frühzeitig” genug gewesen.
Nun seitdem, aktuell 2024, stehen dort so viele Baugenehmigungs- bzw. Bauvoranfragen an, zum Teil auf Außenbereichsgelände ohne Baurecht, das schon für die Unterstützung der ortsansässigen Unternehmen, der Antragsteller, dort dringend und so schnell als möglich, ein sinnvoller Planungsstand angestrebt werden sollte, um diesen eine geregelte Entwicklung zu ermöglichen und Planungssicherheit zu geben.

Freie Wählergruppe:
Hattest Du auch Bauanfragen gestellt Alfred?

Alfred Urwer:
Ich hatte einige Bauvoranfragen in den letzten 10 Jahren gestellt, um irgendwie weiterzukommen. Aber ich glaube der Ortsbürgermeister meinte nicht meine Anfragen, sondern die 4 geplanten Gewerbehallen auf der Streuobstwiese im Plangebiet, die Anfrage für eine Schlosserei und noch ein paar andere Bauangelegenheiten mit Aufstockungen und Ausbau an der Straße “Am Römergrund”. Konnte man ja ein paar mal im Mitteilungsblatt und den Gemeinderatssitzungen hören und lesen.
2016 wurde hier ja schon zum Nachteil von Entwicklung bemerkenswert verhindert. Ich kann nur sagen unklug, dass man den damals bei mir ansiedlungswilligen Unternehmer hat abblitzen lassen. Sein Unternehmen hat die Verbandsgemeinde nun komplett verlassen. Ein Unternehmen ohne Krach, ohne Gestank und ohne den gefürchteten Verkehr. Das war sehr naiv.

Freie Wählergruppe:
Verkehr ist immer eines der Argumente gegen Gewerbe. Richtig?

Alfred Urwer:
Schaut Euch doch den Lastverkehr im Ort an. Der Ort wird komplett von zwei Kreisstrassen durchzogen, also Durchfahrtsstraßen, durchs Dorf. Wer glaubt denn der Kreis unterhält Kreisstraßen für Durchgangsverkehr, die keinen Lastverkehr durchlassen? Wir können froh sein was die Ortsgemeinde mit den 30 km/h Geschwindigkeits-Beschränkungen in den letzten zehn Jahren erreicht hat. Und wenn man, ich nenne es jetzt mal, im ungeregelten Gewerbegebiet, es gibt ja dort keine besonderen Vorschriften, eine Spedition wie vor 10 Jahren ansiedelt, die durch den Ort anfährt und sogar mitten auf der Straße mit den schweren LKWs rangiert oder im Römergrund wieder einmal Laternen und Schilder anfährt, dann sage ich, hier muss wirklich Ordnung und Regelung her.
Gegenüber den LKWs, die die Unternehmen anfahren, wie auch meines, haben wir übrigens einen zunehmenden Schwerverkehr aus der Landwirtschaft. Das sehe ich jeden Tag. Schaut Euch doch mal die morgentlichen Gülle-Schwertransporter aus Holland an, die nicht nur im März durch den Ort gefahren sind, oder auch die Schwertransporter mit Stroh- und Heuballen zu anderen Zeiten. Davon fährt zudem ein großer Teil die dafür gar nicht ausgelegten Wirtschaftswege in der Flur platt.
Ich bin mit der Landwirtschaft groß geworden, hat mich nie gestört, im Gegenteil. Auch wenn der letzte Mähdrescher nachts um 24:00 Uhr vorbeifuhr. Ganz abgesehen davon, wie sieht es denn bei denen mit Fahrzeugbreite auf der öffentlichen Straße, mit Ladungssicherung oder Beleuchtung aus? Es wird aber ausgerechnet Stimmung gemacht, wenn ein LKW zu normaler Geschäftszeit fährt, für mich unverständlich. Landwirtschaft, das sind doch genauso Unternehmer. Ich spreche hier keinesfalls die Landwirtschaft global an, aber manche sind halt maßlos und kennen keine Grenzen. Ebenso sollte man Gewerbe-Verkehr nicht globalisieren.

Freie Wählergruppe:
Verkehr und Wirtschaftswege ist bestimmt auch noch ein extra Thema.

Alfred Urwer:
Ja, ich wollte auch nur kurz auf das Argument Schwerlastverkehr eingehen. Ich habe meine Partner immer gebeten von Höhr-Grenzhausen anzufahren. Die meisten Fahrer, fahren nach billigen Navigationssystemen für PKWs und schon führt die kürzere Strecke durch Weitersburg.
Aber kommen wir mal auf das Gewerbegebiet West zurück, ich kann doch nicht einfach ein bestehendes Gewerbegebiet, was baurechtlich seit Jahrzehnten immer noch eine Katastrophe ist, mit seinen Mängeln jetzt so unfertig liegenlassen und dann auf der unberührten grünen Wiese nördlich, wie u.a. von den Kritikern vorgeschlagen, neu ein Gewerbegebiet vorschlagen? Das ist Umweltsünde pur mit Wegwerfgedanken.

Ich will, wie alle Unternehmer, den Betrieb sichern, entwickeln und auch für sinnvolle Nachnutzungen vorbereiten. Das steht überhaupt nicht im Gegensatz zu Landschaft und Natur oder was weiss ich, ordnet und bringt Gemeinde und Ort nur Vorteile, wenn man es sinnvoll regelt. Gerade und genau das ist nachhaltig.
Wir sind aus dem Dorfzentrum hierhin an den Ortsrand, um das Potential, die Zukunftsfähigkeit und die Entwicklung des Unternehmens sicherzustellen.

Freie Wählergruppe:
Das war wirklich spannend. Ich merke, dass es dir eine Herzensangelegenheit ist Alfred. Lass uns in einem nächsten Teil weitersprechen.